LANDMARK
Die Mehrbildpostkarte zeigt die Großwohnsiedlung Leipzig Schönefeld-Ost mit den Punkthochhäusern, die bereits aus der Ferne als Merkmal der Siedlung zu erkennen sind. Die Ansichtskarte (re-)präsentiert die neu errichtete, sozialistische Siedlung mit großem Wohnungsangebot, guter Infrastruktur und gemeinschaftlichen Einrichtungen. Eine neue Kaufhalle ist zu sehen, eine sogenannte Kinderkombination (Kinderkrippe und Kindergarten) sowie ein fünfgeschossiges Wohnhaus der WBS 70-Serie neben den sechzehngeschossigen Punkthochhäusern Typ PH 16. Allerdings zeigt die Postkarte nicht die südlich gelegenen Schrebergärten, die bereits seit 1908 östlich des Kohlwegs bestehen und durch die Errichtung der Großwohnsiedlung einen großen Teil ihrer Gartenfläche verloren.
Auf der Suche nach den Aufnahmestandorten dienten die Punkthochhäuser als Landmarks, an derer sich die Blickrichtungen unter Zuhilfenahme des Geoportals Sachsen bestimmen ließen. Es stellte sich heraus, dass drei der acht Typenhochhäuser sowie die Kaufhalle inzwischen abgebrochen sind. Die Wohnhochhäuser wurden seit Mitte der 1990er-Jahre saniert; während das Gebäude Bästleinstraße 10 neue Fassaden mit Wintergären erhielt und stark verändert wurde, erfolgten die Sanierungen der übrigen Hochhäuser in einfacheren Ausführungen. Bei den Erkundungsrundgängen wurde die Siedlung aus der Ferne und der Nähe und vor allem aus der Fußgängerperspektive erkundet. Bei der Annäherung durch die Kleingartensiedlung wurden interessante Kontraste von Makro- und Mikrostrukturen deutlich. Die Bildserie inszeniert die kleinteiligen Nutzungen am Rand der Siedlung und nutzt die Präsenz der Wohntürme als Hintergrund und zugleich verbindende Konstante im Bild. Der Versuch einer Nachstellung der Postkartenaufnahmen entwickelte sich zu einer Entdeckung von Interventionen und privat-angeeigneten Kleinbauten in der Großwohnsiedlung. Der Wunsch nach individuellen Gestaltungen und Selbstverwirklichung außerhalb der eigenen Wohnungen wird hier anschaulich und bildet einen Kontrast zur Rationalität, Typisierung und Effizienz von Schönefelds Wohntürmen. In Analogie zur Mehrbildpostkarte sind keine Menschen zu sehen, dennoch kann man ihre Präsenz erahnen und ihre Spuren sind deutlich erkennbar. Der Wohnturm im Hintergrund mit der gerasterten einheitlichen Fassade wirkt anonym, die Umgebung mit Kleingärten und Garagenhöfen hingegen nicht.