ZEITLOSIGKEIT
Das Postkartenbild des Konsument-Warenhauses, wegen seiner markanten Fassade auch „Blechbüchse“ genannt, scheint der heutigen Situation am Richard-Wagner-Platz fast zu entsprechen. Die ungewohnt geschwungene Baukörperform geht auf den Bestandsbau zurück, der hinter der Aluminiumfassade erhalten war. Der Architekt Emil Franz Hänsel hatte 1908 hier ein siebengeschossiges Kaufhaus errichtet. Seine Betreiber, die Kaufhaus Brühl GmbH, wurden 1934 von den Nationalsozialisten aus dem Leipziger Handel verdrängt. Der Bau wurde im Krieg zwar beschädigt, konnte aber notdürftig instandgesetzt werden. 1966 wurde das Gebäude dem HU „konsument“ übertragen und im Zuge des modernen Stadtausbaus wurde der Bestandsbau modernisiert. Seine Jugendstilfassaden verschwanden hinter modernen Aluminiumfassaden, die der Metallbildhauer Harry Müller aus einzelnen hyperbolischen Paraboloid-Elementen konzipiert hatte.
Nach der Wende ließ die Käufernachfrage angesichts des Stadtausbaus mit zahlreichen Malls und Kaufhäusern stetig nach. 2006 beschloss die Stadt den Abbruch des unter Denkmalschutz stehenden Gebäudes, um Platz für das neue Einkaufszentrum „Höfe am Brühl“ machen. Angesichts der Demontage der Alumniumsfassade und der Freilegung des Jugendstilbaus kam es 2010 von verschiedenen Fachleuten, Akteur:innen und Zivilgesellschaft zu Protesten gegen den Abbruch. Alternativentwürfe wurden vorgeschlagen und Unterschriftensammlungen durchgeführt – doch bis auf einen 15 Meter breiten Teil der Jugendstilfassade (an der Goerdelerring-Seite) wurde der Bau vollständig abgebrochen. Die Aluminiumfassade wurde eingelagert und später vor dem Neubau re-installiert.
Menschen der jüngeren Generation, die die frühere Situation nicht aus eigenem Erleben kennen, sind über die Zuordnung zur Ostmoderne überrascht. Die moderne Aluminiumfassade wird im Zusammenspiel mit dem Gebäudekomplex „Höfe am Brühl“ von 2012 gelesen. Diese Zeitlosigkeit wurde zum Leitmotiv der Fotoserie und war zugleich der Grund für die Schwarz-Weiß-Serie. Erst auf den zweiten Blick wird deutlich, dass es sich um aktuelle Aufnahmen des Kaufhauses handelt. Der Fokus wird auf die Struktur der Fassade und die geschwungene Form des Gebäudes gelegt, während ablenkende Farb-Neonleuchten der Geschäfte und farbkräftige Verkehrsschilder optisch zurücktreten. Ein weiteres Motiv sind die verschiedenen Blickachsen und die urbanen Zwischenräume. Die engen Gassen und Straßen wie Brühl, Hainstrasse und Große Fleischergasse geben nur einen eingeschränkten Blick auf das Gebäude frei. Vom weiträumigen Richard-Wagner-Platz und Tröndlinring zeigt sich das Gebäude in seiner Gesamtheit. Der Platz ist heute nicht mehr als Parkplatz, sondern von Brunnenanlagen, Sitzgelegenheiten, einzelnen Bäumen und einem Skatepark geprägt und lädt zum Aufenthalt ein.
// Jan Koch, Fotografie + Recherche