„Traces“ Tanzaufführung in der temporären Spielstätte Sommerbau in Offenbach/Frankfurt 2021
Nadine Kesting Jiménez
12. Oktober 2021
Bei dem Tagungsbesuch „Sein oder Nichtsein“ im DAM Frankfurt (16.-17.09.21) wollten wir uns mit Theater beschäftigen über eigene Beiträge, weitere Vorträge zu historischen Bauten und aktuellen Nutzungsfragen und wir wollten Theater als Aufführung erleben. Eine Gelegenheit bot sich im Sommerbau mit dem Stück „Traces“ der Dresden Frankfurt Dance Company.
Sechs S-Bahn-Haltestellen liegen zwischen dem Frankfurter Hauptbahnhof und der Haltestelle Kaiserlei in Offenbach. In diesen zwölf Minuten verlassen wir die Metropole Frankfurt fahren kurz durch eine Landschaft von Feldern und Gärten, um unterhalb einer Autobahnbrücke die S-Bahn-Station zu verlassen. Wir befinden uns plötzlich an diesem Nicht-Ort, einem Gewerbegebiet an der Grenze zwischen Frankfurt und Offenbach, das wir ohne diese kulturelle Einladung kaum besucht hätten. Der Sommerbau, initiiert vom Mousonturm und Frankfurt LAB, ist an der Kaiserleipromenade zwischen Autohäusern, Baustellen und Brachflächen errichtet. Ein imposanter Fremdkörper ragt in die Höhe, dessen Außengestaltung aus drei großen Schrägflächen besteht, die zugleich den Zugang zum Theater signalisieren.
Der Entwurf von raumlaborberlin ist inspiriert vom Londoner Globe Theater, der Archetyp des Logentheaters unter freiem Himmel. Der runde Grundriss des Globes wurde beim Sommerbau in eine hexagonale Struktur übersetzt. Wir betreten den Raum und blicken in das Gestänge einer Gerüstkonstruktion, die sich über drei Etagen erstreckt. Während die Großfigur den Bau in dem Areal markant erscheinen lässt, wird aus der Innenperspektive die Einfachheit der wiederverwendbaren Konstruktion und ihre flüchtige Lebensdauer deutlich. Der Weg zum Sitzplatz führt über breite Korridore und Treppenaufgänge. In der Doppelloge erscheint der unmittelbare Nachbar fern, während das Publikum zum Teil der Kulisse wird. Rote Stoffdreiecke erzeugen Assoziationen zum Innern eines Theatersaals. Geprägt ist der Entwurf für diesen temporären Theaterbau durch die aktuelle Pandemie-Situation, da er alle Voraussetzungen für Spielbetrieb und Besuch von 200 Zuschauer:innen in den warmen Monaten erfüllt. Kleine Haken in den Logen für die Mund-Nasen-Schutz-Ablage zeigen den Detaillierungsgrad und lassen uns die Pandemie nicht vergessen. Die große Bühne mit 24 x 24 Metern wird bei diesem Tanzstück vollkommen ausgenutzt. Die Tänzer:innen bespielen anfangs nur die platzierten Kulissen, sie bewegen sich langsam und bedacht. Im Verlauf der Aufführung ermächtigen sie sich immer mehr des großen Bühnenraums bis die gesamten Fläche vereinnahmt wird. Der Spielbetrieb im Freilichttheater ist nicht nur dem Wetter ausgesetzt - die geplante Traces-Aufführung am Vorabend musste aufgrund starken Regens ausfallen - auch die Umgebungsgeräusche der umherfahrenden Autos, Passanten oder Vögel infiltrieren das Stück und werden Teil davon. Das Spielen außerhalb der Blackbox birgt Herausforderungen, aber ermöglicht auch eine neue Interpretation des zu Verfügung stehenden Raumes.
Der Standort des Sommerbaus verweist auf urbane Themen: Ein temporärer Theaterbau mitten in einem Gewerbegebiet, ein Ort, an dem die Kultur sonst nicht auffindbar ist. Ein kultureller Standort zwischen zwei Städten, die konkurrieren und sich dennoch annähern wollen. Eine neue Verortung von Theater, die das bisherige Publikum an neue Orte bringt und möglicherweise auch einem neuen Publikum den Weg ins Theater ermöglicht. Diese Aspekte interessieren uns maßgeblich, weil sie auf das Wechselspiel von Theater, Architektur, Raum, Ort und Stadtentwicklungsprozesse verweisen.
Websites:
https://sommerbau.net/
https://www.mousonturm.de/projects/sommerbau/
https://frankfurt-lab.com/home/sommerbau
Rezeption:
Lüft, Anna Lisa. „Sieht so das Theater der Corona-Zukunft aus?“. 29. April 2021. www.hessenschau.de/kultur/5-fakten-zum-sommerbau-im-kaiserleiviertel-sieht-so-das-theater-der-corona-zukunft-aus,mousonturm-sommerbau-100.html, 05.10.2021
Burkhardt, Susanne; Philipp, Elena. Theaterpodcast (37): „Draußen vor den Theatertüren“. 8. Juni 2021. https://www.nachtkritik.de/index.php?option=com_content&view=article&id=19638:theaterpodcast-37-draussen-sommer-vom-spielen-unter-freiem-himmel-und-theater-im-stadtraum-mit-schauspielerin-regine-zimmermann-und-architekt-benjamin-foerster-baldenius&catid=101:debatte&Itemid=84, 05.10.2021
Laud, Anja. „Der Sommerbau in Offenbach feiert Premiere“. 15. Juli 2021. https://www.fr.de/rhein-main/offenbach/der-sommerbau-in-offenbach-feiert-premiere-90864070.html, 05.10.2021
Magel, Eva-Maria. „Theater auf der grünen Wiese“. 19. Juli 2021. https://www.faz.net/aktuell/rhein-main/kultur/sommerbau-am-kaiserlei-ermoeglicht-theater-im-freien-17444975.html, 05.10.2021
Lutz, Christiane. „Der Himmel über Offenbach“. 8. August 2021.https://www.sueddeutsche.de/kultur/offenbach-sommerbau-dionysos-stadt-1.5376805, 05.10.2021
Bautyp: temporäres Freilicht-Logentheater
Adresse: Brüsseler Platz, 63067 Offenbach am Main
Standort: Brachfläche der OFB Projektentwicklung GmbH
Baujahr: Juni-Juli 2021
Auftraggeber:innen: Künstlerhaus Mounsonturm und Frankfurt LAB
Entwurf: raumlaborberlin
Nutzungszeitraum: 18.07.-23.10.2021
Projektkosten: 2.500.000 €
Baukosten: 380.000€
Finanzierung: Hessisches Kunstministerium
Konstruktion: Gerüstbau, Holzlatten, Bühnenplatten
Platzanzahl: 200 Sitzplätze in Zweierlogen
Bühne: 24 x 24 Meter
Nutzer:innen: Künstlerhauses Mousonturm, Frankfurt LAB, Dresden Frankfurt Dance Company, Hochschule für Musik und Darstellende Kunst, Companys der freien Szene