KONSISTENZ
Das Gewandhaus Leipzig wurde 1981 am Karl-Marx-Platz neu errichtet, nachdem das alte Gewandhaus im Krieg beschädigt worden war und sein Wiederaufbau nicht vorgesehen wurde. Damit wurden die bedeutendsten Häuser der Kultur und Wissenschaft am zentralen Platz angesiedelt. Der international renommierte Gewandhauskapellmeister Kurt Masur erhielt hier kein mischgenutztes Kulturhaus, sondern einen spezifischen Konzerthaus-Neubau mit besten Bedingungen für Musikaufführungen – in der Geschichte der DDR war dies einmalig. Eine Besonderheit des architektonischen Konzepts ist die Diagonalanordnung der beiden Säle, die Verbindung des Kleinen Saals mit dem Sektionshochhaus - und insbesondere die Ausbildung des Großen Saals, der markant skulptural zum Karl-Marx-Platz durch die große Glasfront sichtbar wird. Das Monumentalbild von Sighard Gille an der Saalunterseite ist bei abendlicher Beleuchtung ein markanter künstlerischer Akzent, der in den Außenraum wirkt. Eindrücke vom Gemälde bekommt man ausschnitthaft von den drei Foyeretagen, die den Konzertsaal umschließen. Der expressive Ausdruck des Gewandhauses bildet einen Kontrast zu den typisierten Bauten dieser Zeit.
In der Beschäftigung mit dem Gewandhaus entstand auch ein Bild, das die markante Platzfassade und das in den Abendstunden leuchtende Foyer mit dem Saalkörper zeigt - nahezu identisch mit der Darstellung auf der Postkarte. Die fotografische Annäherung entwickelte sich als Versuch, auf die bekannten Motive zu verzichten. So wurden die Zwischenräume zum zentralen Motiv der Serie, die zu neuakzentuierten Bildern des Hauses und einer anderen Wahrnehmung führten. Da das Gewandhaus seit seinem Bestehen kaum Wandel erfahren hat, wurde der Fokus auf die Räume zwischen Bauwerk und Stadt sowie auf seine Nischen und Höfe gelegt. Somit wurde insbesondere die Erdgeschosszone betrachtet, die sich an mehreren Stellen öffnet und Einblicke in das Innere des Gewandhauses bietet. Betrachtet wurde nicht nur die platzzugewandte Seite, sondern auch die Seiten zur Ringstraße, zum Promenadenring und zur Moritzbastei. Während das Bauwerk von einer Konsistenz zeugt, fanden in den letzten Dekaden vor allem in seinem Umraum Veränderungen statt: Der ruhende Verkehr befindet sich in der Tiefgarage und nicht mehr auf dem Platz, worauf die Zufahrten und Zugangsbauten verweisen. Das benachbarte Hotel und das Hauptpostgebäude wurden modernisiert, das Universitätsgebäude entstand neu und das City-Hochhaus erhielt einen Sockelanbau, der mit dem Gewandhaus über eine Brücke verbunden ist.
// Vincenz Wenke, Fotografie + Recherche