URBAN BLOCK
Ganz im Sinne der sozialistischen Stadt fanden sich im Stadtzentrum von Leipzig zahlreiche Wohnnutzungen wie in dem Ensemble am Brühl, das auf der Postkarte abgebildet ist. Dieser Straßenzug war ein historisch bedeutender Treffpunkt für Handels- und Kaufleute, die ihre Waren in Leipzig auf den Markt brachten. Weltweit Bekanntheit erlangte der Bühl vor allem durch die Pelzhändler und Kürschner, die seit Mitte des 19. Jahrhunderts hier ihre Geschäfte, Werkstätten und Lager betrieben. Mit der Neugestaltung des kriegszerstörten Zentrums 1960 wurde beschlossen, den südlichen Brühlbereich nicht wieder zu bebauen, sondern die Stadt hier aufzulockern durch die Anlage des Sachsenplatzes. 1968 entstand das Wohnensemble entlang des Goerdelerrings zwischen Richard-Wagner-Platz und Hallischem Tor und schloss an den Komplex des „konsument“-Warenhauses an. Drei elfgeschossische Mittelganghäuser waren quer zwischen Ring und zum Brühl positioniert, so dass anstelle einer geschlossenen Blockkante eine offene Bebauung entstand, die durch Flachbauten miteinander verbunden war. 42 Jahre nach seiner Errichtung wurde der gesamte Komplex trotz Protesten und Erhaltungskonzepten bis 2010 abgebrochen, um dem Einkaufszentrum “Höfe am Brühl” Platz zu machen.
Die Serie beschäftigt sich mit einem Panorama der neuen städtebaulichen Setzung entlang des Goerdelerrings, in dem die Baukörper in sechs aufeinanderfolgenden Sequenzen aufgenommen wurden. Entlang der gegenüberliegenden Ringseite wurden im gleichen Abstand sechs Aufnahmen gemacht, Winkel, Höhe und Abstand wurden trotz wechselnder Bedingungen manuell ausgeglichen, um eine konsequente Reihung zu erzielen. Es fällt auf, dass der Ort sehr stark frequentiert ist. Es war fast unmöglich, das selbe Motiv zu fotografieren, da Menschen, Fahrräder, Autos, Straßenbahnen die Wahrnehmung des Ortes im Sekundentakt verändern. Beim Erkunden dieser konsumgeprägten Umgebung kommt es zur Reizüberflutung durch Schriftzüge, Schilder und Leuchtreklamen. Die neue Blockbebauung erscheint hier wie ein monolithischer Fels, der von Verkehr und Geschäftigkeit umspült wird. Während in den 1960er-Jahren die aufgelockerte Stadt das Leitbild war, wird mit der neuen Brühl-Gestaltung das städtebauliche Prinzip der verdichteten Europäischen Stadt verfolgt. Der Stadtgrundriss der Vorkriegszeit wurde aufgegriffen, indem Höfe, Gassen und Durchwegungen in dem Großblock angelegt sind. Die Fassadengestaltung ist von Materialwechsel und leichten Versprüngen geprägt und suggeriert somit eine städtebauliche Kleinteiligkeit. Mit einer Einzelaufnahme wird der Vergleich von aktueller Situation und der Postkarten-Fotografie hergestellt. Da die Bauten seinerzeit von dem weiträumigen Sachsenplatz aufgenommen wurden, ist eine unmittelbare Rekonstruktion heute nicht mehr möglich. Den Sachsenplatz gibt es nicht mehr und auf seiner Fläche entstand eine dichte Randbebauung, die das neuen Museum der bildenden Künste umgibt. Orientierungspunkte wie das barocke Romanushaus und die Aluminiumfassade des Warenhauses geben Hinweise auf die Transformation des Brühls.
// Alina Lamshöft, Fotografie + Recherche